Papst Franziskus warnt immer wieder vor dem von ihm ausschliesslich negativ konnotierten Proselytismus, als gäbe es nicht auch ein positives Verständnis von Proselytismus wie im alten Judentum und von Mission im Besonderen wie im in den Paulusbriefen. Vor allem Paulus betont, dass Mission nichts mit Überredungskunst; Manipulation und Gängelei zu tun hat, sondern Aufweis von Geist und Kraft ist. Anders formuliert: Der Hl. Geist ist es, der ein Gewissen von der Wahrheit überzeugt, nicht der Missionar. Diese Wahrheit ist Jesus Christus, was Franziskus im interreligiösen Kontext regelmässig verschweigt.
Auch die Diagnose stimmt nicht. Nicht verwerfliche Proselytenmacherei ist die grosse Gefahr in der Kirche seit dem letzten Konzil, sondern die fast vollständig erlahmte Missionsbemühung, abgesehen von einzelnen Aufbrüchen, die ein Reaktion auf die Abwesenheit von Mission seit 60 Jahren sind. „Ich bin gegen Mission!“ Die Aussage gibt die prominente Meinung des damals 82-jährigen Ernesto Cardenal wieder, der sich als Anhänger eines religiösen Pluralismus verstand. Keine Religion sollte sich seiner Meinung nach über eine andere stellen oder anderen Völkern ihre Religion nehmen (vgl. Kontinente, 2008/2, S.20). Papst Franziskus schreibt im Gegensatz dazu, dass die Kraft für die Verkündigung an die Fernstehenden nicht verloren gehen dürfe, denn dies sei die „erste Aufgabe der Kirche“. Die Missionstätigkeit stelle deshalb auch heute noch die grösste Herausforderung dar, und so müsse das missionarische Anliegen „das erste“ der Kirche sein. Im Weiteren fragt sich der Papst, was geschehen würde, wenn wir diese Worte wirklich ernst nähmen? Darauf gibt er selbst die Antwort: „Wir würden einfach erkennen, dass das missionarische Handeln das Paradigma für alles Wirken der Kirche ist“ (Evangelii gaudium, Vorwort, Nr. 15). Warum redet er dann immer nur negativ von Proselytismus, wo es um Mission geht? Warum verkündet er im interreligiösen Kontext nicht klipp und klar Jesus Christus als die Wahrheit und das Heil für alle Völker? Er weiss doch, dass uns kein anderer Name gegeben ist, in dem wir das Heil finden als der Name Jesus, vor dem jedes Knie sich beugen wird. Stattdessen redet er prioritär von der universalen Brüderlichkeit, aber leider nicht von Jesus Christus als Mittler und Bedingung derselben; er redet vom einen Gott für alle, aber nicht, wie Er sich in Christus offenbart hat (Dreifaltigkeit). Brauchen wir Jesus Christus für diese Brüderlichkeit? Man könnte meinen: Nein, höchstens im Sinne einer Inspiration, aber nicht als Mittler im strengen Sinn; denn auch Andersgläubige, alle, alle, alle, sind angeblich bereits Kinder Gottes und küssen deshalb einander die Hand.
Papst Franziskus redet davon, dass es nur einen Gott gibt, den Schöpfer, und dass wir deshalb schon von Natur als seine Geschöpfe Brüder und Kinder Gottes sind. Stimmt das? Wo bleibt Jesus Christus in diesem Verhältnis, ohne den wir nach Seinen eigenen Worten den Vater (den Schöpfer) nicht haben? Wo bleibt die Rede von Jesus Christus als der einzigen Tür zum Vater? Wo bleibt die Rede davon, dass Jesus Christus uns die Macht gegeben hat, Kinder Gottes zu werden? Dass wir es also ohne Ihn nicht sind. Wo bleibt die Rede davon, dass wir in Seinem Geist, den Er uns gegeben hat, beten: Abba, Vater? All das verschweigt Papst Franziskus und vermeidet auch beim Segen das Kreuz, um niemanden zu vereinnahmen, keine Gefühle zu befremden oder eine Auseinandersetzung anzuregen im Sinne einer Religionskritik und eines missionarischen Impulses, sich mit dem Absolutheitsanspruch Jesu zu stellen. Wir verstehen heute Toleranz als Verzicht auf Überzeugungen und Wahrheitsansprüche. Mission kann dann alles Mögliche (Einsatz für das Klima oder für eine schranken- und grenzenlose Migration) bedeuten, nur nicht jemanden von der Wahrheit – in unserem Kontext von Jesus Christus - überzeugen zu wollen. Zu meinen, im Besitz der Wahrheit zu sein, erscheint als unnötige Provokation. Aber Christus steht vor Pilatus mit genau diesem Anspruch. Er ist die Wahrheit in Person. Und wir besitzen sie im Evangelium und in den Sakramenten. Wir sind Anbeter im Geist und in der Wahrheit. Das geht alle Menschen an, die Menschwerdung Gottes! Deshalb will Jesus, dass wir Ihn verkünden. Wir sollen alle Menschen zu Seinen Jüngern machen. Eine katholische Kirche, die darauf verzichtet, ist nicht mehr katholisch. Noch einmal: Als Menschen sind wir nicht von Geburt Kinder Gottes, sondern seine Geschöpfe. Die Kindschaft müssen wir zuerst annehmen und bejahen. Sie wird uns in Christus angeboten. Unser Glaube ist die adäquate Antwort auf das Angebot. Trifft das auf einen Muslim zu, der von seinem Glauben her die Überwindung des Christentums als Häresie wünschen muss? Das sind ernste Fragen. Christus gibt uns die Macht, Kinder Gottes zu werden: wenn wir an Ihn glauben und uns taufen lassen! Wer alle einschliessen und niemanden ausschliessen will um den Preis, Christus als Sohn Gottes und universale Wahrheit, als Heil der Völker, als Mittler und exklusive Tür zu Gott in den Hintergrund zu rücken oder mit anderen Optionen in eine Reihe zu stellen, verdient nicht den Namen «Christ». Er ist weder überzeugt noch überzeugend. Er ist keine Zeuge Christi. Auch wird diese universale Brüderlichkeit ohne Wahrheit scheitern. Es gibt keine Liebe ohne Wahrheit.
Wer ständig die Wahrheit suspendiert, um angeblich mehr zu lieben, verleugnet oder verschweigt die Wahrheit, um angeblich alles und jeden liebevoll zu umarmen und zu inkludieren, jedem Wahrheitskonflikt aus dem Weg zu gehen. Er macht aus der Christologie des Evangeliums und des Glaubens der Kirche ein Jesulogie eigenen Zuschnitts: Der propagierte Jesus ist dann nur noch der Inbegriff eines soften Humanismus oder eines verniedlichten Gottes, der alle einschliesst, nichts ausschliesst, niemanden verurteilt, ja sich des Urteils enthält (wer bin ich?), vor allem im interreligiösen Kontext jeden bei seinem Glauben lässt. Verkündet wird ein Gott, der alle bedingungslos annimmt, wie sie sind, ihnen zärtlich über die Haare streicht, ohne von ihnen Umkehr, Glauben und Gehorsam zu fordern, Vergebung ohne Einsicht und Reue anbietet, Ewiges Leben ohne Gericht verspricht. Von schwerer Sünde ist nur noch im Kontext von Migration die Rede, ansonsten gibt es sie (fast) nicht mehr. Diese Jesulogie ist eine selektive Version des Evangeliums, eine Reduktion und Entstellung. Die anstössigen und steilen Aussagen im Munde Jesu bleiben ausgeblendet wie z.B. jene, dass er nicht gekommen ist, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Gemeint ist nicht jenes Schwert, das Petrus gleich wieder in die Scheide stecken sollte, weil jene, die zum Schwert greifen, durch das Schwert umkommen, nein, gemeint ist das Schwert der Wahrheit, die nicht beliebig zur Disposition steht oder verleugnet werden kann. An IHM und Seinem Anspruch werden sich die Geister scheiden, hat schon der greise Simeon prophezeit. Bequemer ist diese Wahrheit nicht zu haben.
Wo bleiben diese Aspekte (Wahrheiten) in der Verkündigung des Papstes? Wir verkünden nicht einen für unsere politischen und humanitären Ansichten massgeschneiderten Jesus, sondern Jesus, den Christus, den Sohn Gottes, die universale Wahrheit, das Heil der Völker, den einzigen Zugang zum Vater, den Erlöser der Welt. Es ist im Vollsinn des Evangeliums zu wenig, dass wir alle miteinander lieb sind, jeder aber bei seinen eigenen religiösen Ansichten bleibt, ohne die von Gott offenbarte Wahrheit zu kennen oder anzuerkennen? Mögen andere das anders sehen, wir Christen können es nicht. Da wir gefragt sind, reden wir davon. Wir begnügen uns nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner wie bestenfalls eine Brüderlichkeit, die sich ohnehin auf dieser Basis nie durchsetzen und universalisieren wird. «Denn ohne Mich könnt Ihr nichts tun!» Wie sollen sie die Wahrheit erkennen, wenn sie niemand verkündet und auslegt, fragt Paulus? Diese Auslegung ist nicht nur ad intra, nämlich für die Gläubigen, von Nöten (etwa beim sonntäglichen Angelusgebet des Papstes), sondern auch ad extra im interreligiösen Kontext für jene, die nicht an Christus glauben.
Kardinal Américo Aguiar, der als Weihbischof von Lissabon den letzten Weltjugendtag koordinierte, erregte Aufsehen mit seiner Aussage: «Wir wollen die jungen Leute nicht zu Christus oder zur Katholischen Kirche oder ähnlichem bekehren». Er meinte, die «Hauptbotschaft» dieses Ereignisses sei: «Ich denke anders, ich fühle anders, ich organisiere mein Leben anders, aber wir sind Brüder und Schwestern, und wir werden die Zukunft gemeinsam aufbauen.» Aguiar verbindet diese Ansicht nicht zu Unrecht mit der programmatischen Sozialenzyklika von Papst Franziskus «Fratelli Tutti» (2020). Ähnlich hat es in Indonesien geklungen. Das ist also das neue Evangelium? Ich zitiere Christiana Reemts: „Der einzelne Gläubige darf seine eigene Religion zwar lieben und sein subjektives Überzeugtsein ausdrücken, nicht aber behaupten, er habe die absolute Wahrheit, der sich jeder Mensch beugen müsse. Letzteres wäre eine Form der Vereinnahmung, die im Namen von Freiheit und Menschenwürde zurückzuweisen ist.» [Reemts, Christiana, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. Die Auseinandersetzung zwischen Celsus und Origenes im Horizont der Postmoderne, in: EuA 75 (1999), 6]. Damit bleibt alles in der Unverbindlichkeit und (nur) in relativer, subjektiver Gültigkeit, aber nie in einer Gültigkeit für alle. Das widerspricht dem Evangelium. Leider spricht Papst Franziskus im interreligiösen Kontext nach der Art dieses Credos. Weil sonst der dem Sendungsbefehl bzw. Missionsgedanken zugrunde liegende Absolutheitsanspruch Jesu zum interreligiösen Ärgernis und damit zum Problem werden könnte, wird er nobel verschwiegen. Das war doch auch einer der Gründe, weshalb in den letzten Jahrzehnten der Missionsbegriff durch die mit weniger »Negativfrachten« beladene Idee der Partnerschaft und des Dialogs (der Religionen) ersetzt wurde. Lieber davon reden, dass wir alle den gleichen Gott haben und alle Brüder sind, als mit Jesus als der Tür zu diesem Gott ins Haus fallen! Aber wie kann einer mir Bruder sein, der den Sohn Gottes explizit ablehnt und bekämpft? Im Sinne des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter ist jeder mein Nächster, ja, denn Nächstenliebe ist universal (inklusiv Feindesliebe). Aber Bruder? Braucht es da nicht mehr, wenn es nicht reiner Etikettenschwindel und Höflichkeitsgebärde bleiben soll? Wenn schon Blutsbrüder einander behandeln als wären sie es nicht, wo liegen dann diesbezüglich die Kraft von Fleisch und Blut, der Zugehörigkeit zur gleichen Familie oder Menschheit oder einer anderen Religion? Wo liegt die Quelle einer christlich - nicht freimaurerisch - verstandenen Brüderlichkeit? Ich antworte: In der Annahme des Sohnes Gottes (Glaube) und damit im Heiligen Geist, der von Ihm und vom Vater ausgeht!
»Dialog« und «universale Brüderlichkeit» als Inbegriff eines relativistischen Credo’s, das von vornherein und prinzipiell keinem Mitredenden mehr Wahrheit zugesteht als dem anderen, wird dem Anspruch Jesu nicht gerecht. Es ist ein Antievangelium, eine Charmeoffensive ohne Tiefgang und Wahrheit. Wie man sehen kann, ist das Ende von Mission die logische Konsequenz davon. Für uns Christen kommt das einer Verleugnung Jesu Christi gleich. Letztere beginnt mit dem Verschweigen Seines Namens, mit der Weigerung, Ihn ohne Abstriche an seinem Absolutheitsanspruch und Wort allen Völkern und Religionen vorzustellen: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ausser durch mich!». Das klingt aber in meinen Ohren anders als die päpstliche Rede in Indonesien.